4 Fragen an... Hosti José, TARGETs Bauingenieur im Amazonasregenwald Brasiliens
In dieser Serie stellen wir Euch Menschen vor, die sich mit TARGET e. V. für ein Ende der Weiblichen Genitalverstümmelung sowie für Indigenen- und Urwaldschutz einsetzen. Auf Social Media und unserer Website beantworten wir jeweils vier Fragen, die Ihr am häufigsten gestellt habt. Hosti José ist seit dem Jahr 2000 an unserer Seite. Drei TARGET-Gesundheitszentren hat er im indigenen Schutzgebiet der Waiãpi (Nordbrasilien) gebaut und hält sie instand. Eure Fragen beantwortet er in perfektem Alt-Deutsch, das er von seiner Familie überliefert bekommen hat, die während des 2. Weltkrieges nach Südbrasilien ausgewandert war.
1) Was war die größte Herausforderung im Bau der TARGET-Gesundheitszentren in Brasilien?
Die Krankenstation, die wir oben tief im Urwald im Dorf Ytuwasu gebaut haben war eine riesige Herausforderung. Da kommt man nur über einen kurvigen Fluss mit dem kleinen Boot hin. Man muss alles hoch in den Urwald schaffen: Baumaterialien, Verpflegung für die Arbeiter, Hängematten zum Schlafen. Einfach alles. Du bist Tag und Nacht beschäftigt, kannst nicht aufhören. Sonst hört der Bau auf. Und das darf nicht passieren. Das Problem ist, dass umgefallene Bäume, Felsen und Gestrüpp den Weg immer wieder blockieren. Man muss anhalten und den Fluss erst einmal sauber machen. Also mit Kettensägen und Körperkraft die umgefallenen Bäume wegschaffen. Je nach Wasserstand im Fluss und je nach Unwetterlage ein sich wiederholender unglaublich zeitaufwendiger und nasser Kraftakt für alle Beteiligten. Wir sind mehrmals fast gekentert. Verletzungen gab es bisher keine, aber das Risiko ist enorm groß: Moskitos, Malaria und Dengue-Fieber, Verletzungen mit dem Hackbeil oder der Motorsäge – alles nur fast passiert. Wobei ich selbst schon sieben Mal an Malaria erkrankt bin, zwei Mal Dengue-Fieber, über 100 Leishmaniose-Verletzungen und ein paar weitere tropischen Krankheiten. Aber das gehört dazu, wenn man da bauen will, wo eigentlich niemand bauen würde...
Ein umgefallener Baum dient als Baumaterial
2) Was war die größte Schwierigkeit, die du während Deiner 20 Jahre Arbeit für Target bewältigen musstest?
Die größte Schwierigkeit hält bis heute an: Brasilianische Bürokratie. Dokumente über Dokumente, bis man die Erlaubnis hat, bis man eine Antwort hat, bis man die richtigen Anträge gestellt hat. Aber ich denke das ist überall so: Bürokratie hält auf, ohne sie könnte ich viel schneller Arbeiten. Aber ohne Erlaubnis geht im Indigenengebiet nichts. Das ist auch verständlich. Dennoch wäre es mir ohne lieber.
Schwierig ist auch immer wieder die Straße, die ins Waiãpi-Land führt: fast 400 Kilometer, davon 220 Kilometer unbefestigte Straße auf roter Erde. An vielen Stellen bleiben wir hängen. Wir müssen uns manchmal Rausziehen lassen aus tiefen Schlaglöchern, Matsch, Schlamm, bei Regen unglaublich schwierig.
Ein festgefahrener Geländewagen - manchmal muss man sich rausziehen lassen
3) Welche Baustoffe werden für die Gebäude hauptsächlich verwendet?
Das meiste Material, das wir benutzen, ist Holz von den Bäumen, die vor Ort bereits umgefallen sind, aber noch sehr gute Qualität haben. Wir schneiden die Bretter per Hand mit Kettensägen aus den Bäumen heraus. Das sind Bäume, die zum Beispiel bei Anpflanzungen, welche die Waiãpi für ihren Gemüse- und Obstbedarf machen, gefällt worden sind und von den Häuptlingen an uns übergeben werden. Wir schlagen keinen Baum ab. Alles ist Holz, das schon auf dem Boden liegt. Erstklassiges Holz für eine vernünftige Station. Und dann kaufen wir noch Material dazu: Backsteine, Sand, Zement, etc.
Holz, das bereits auf dem Boden liegt wird weiterverarbeitet - kein Baum wird abgeschlagen
4) Was war für Dich der schönste Moment während Deiner Arbeit für Target?
Der schönste Moment war die Einweihung der ersten TARGET-Krankenstation bei den Waiãpi im Dorf CTA im Jahr 2003, gebaut 2002 von mir. Eine vernünftige, feine Einweihungsfeier war das! Gar nicht so einfach, denn die Straße hatte uns mal wieder vor große Herausforderungen gestellt: Matschlöcher, mehrfaches Ausbuddeln des Toyota aus dem roten Schlamm... Aber alle Indigenen aus den umliegenden Dörfern waren gekommen. Keiner hat gefehlt. Häuptling Joãopiriá, der eine Beinprothese trägt, die ihm übrigens auch TARGET ermöglicht hat, hat sich auf die Brust geschlagen und gesagt: „Jetzt haben die Waiãpi ein Hospital. Hospital Waiãpi, ein großartiger, perfekter und so schöner Bau!“ Da ist mir das Herz aufgegangen. Für ein Volk so gute Arbeit leisten zu dürfen und dann ihre Dankbarkeit zu sehen. Für sie ist die Station absolut lebensnotwendig.
Hosti vor 20 Jahren bei der Einweihung der ersten Krankenstation bei den Waiãpi
5) Extra: Wie hast du Rüdiger Nehberg und TARGET e. V. kennengelernt?
Mein Freund Rougatto hatte mich angerufen und mir erzählt, dass ein Deutscher in Macapá (Hauptstadt des Bundesstaats Amapá, Nordbrasilien) sei. Und dass der Deutsche mit mir sprechen wolle, denn er wolle die Waiãpi kennenlernen. Deutsche? Super! Meine Vorfahren sind Deutsche, kamen damals während des 2. Weltkrieges nach Brasilien als Auswanderer. Das fand ich spannend! Und ich freute mich darauf, wieder Deutsch zu sprechen. Rougatto organisierte kurzerhand ein Abendessen für alle. Beim Essen mit Annette und Rüdiger wurde dann direkt der Plan geschmiedet: Erlaubnis für den Eintritt ins Indigenengebiet bei der indigenen Schutzbehörde FUNAI einholen, Transport organisieren, Abfahrt! So entstand der erste Besuch bei den Waiãpi und meine TARGET-Reise, die bis heute anhält.
Rüdiger und Hosti am Pläne schmieden zu Beginn des Waiãpi-Projektes
Weiterführendes
Hier gibt es mehr zu erfahren zu unserer Arbeit bei den Waiãpi und zu Hostis Bau-Meister-Werken.
Dir gefällt unsere Reihe? Folge uns auf Facebook und Instagram und stelle bei der nächsten Runde selbst Fragen an unsere Mitstreiter.
Weitere Folgen der Serie „4 Fragen an...“:
TARGET-Vorstand Sophie Weber